+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Sonntag, 5. Januar 2014, 17:54 Uhr

Debattenbeitrag zum "Gefahrengebiet" in Hamburg

Hamburger Polizei zieht blank

Infoarchiv Norderstedt | Die Hamburger Polizei hat ein "Gefahrengebiet" ausgerufen. Mal wieder. Was das genau ist, weiß sie vermutlich selber nicht, aber hektische Betriebsamkeit macht sich eben gut angesichts autonomer Militanz. Was das mit Norderstedt zu tun hat? Wahlweise nichts oder eine ganze Menge.


Die Demospitze am 21.12. - kurz danach wurd´s ruppig (Foto: Infoarchiv)

Stellen wir uns beispielsweise mal vor, im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen den Rocker-Truppen der Hells Angels und der Bandidos kommt es binnen kurzer Zeit zu einer Massenschlägerei an der Aral-Tanke in Friedrichsgabe und zu Schüssen auf die Angels-Bar an der Ecke Ulzburger Straße/Quickborner Straße. Und stellen wir uns weiter vor, dieser Ort läge im Einflussbereich der Hamburger Polizei. Dann nämlich könnte deren Führung, namentlich Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch & Kollegen nun den gesamten Stadtteil Friedrichsgabe zum "Gefahrengebiet" erklären, mit hunderten Einsatzkräften durch die Straßen patroullieren und willkürlich "Aufenthaltsverbote" erteilen - beispielsweise allen Motorradfahrern. Wer dort wohnt, könnte indes angewiesen werden, sich bis auf weiteres nur noch alleine oder allenfalls zu zweit außerhalb seiner Wohnung zu bewegen. Unrealistisch? Weit gefehlt: Genau das geschieht gerade im Bereich St.Pauli/Schanzenviertel.

Weil es dort am 21. Dezember nach der frühen Auflösung einer Demonstration für den Erhalt der Roten Flora zu heftigen Straßenschlachten zwischen Polizei und Autonomen kam und vor wie nach der Demo militante Aktionen gegen die Davidwache erfolgten, erklärte die Polizei einen Großteil von Hamburg-Mitte kurzerhand zum "Gefahrengebiet". Ohne richterliche Anordnung, ohne politischen Beschluss. Ein klarer Bruch der grundgesetzlich verankerten Gewaltenteilung: Die Polizei macht einfach mal ihre ganz eigene Politik, wie auch eine Kolumne von Heinrich Schmitz im "The European" zu bedenken gibt. Und wie das dann aussieht, wenn die Einsatzkräfte selbst einen Zustand erzeugen, der zwar eine Art Ausnahmezustand ist, vorsichtshalber aber nicht so genannt wird, hat unter anderem Tom Warnke beschrieben, der am Freitag einen neugierigen Spaziergang durch sein Viertel machte und dabei Szenen beobachtete, die man wohl eher in einer sogenannten "Bananen-Republik" verorten würde, denn in Hamburg: Da reicht es schon mal aus, im verdächtigen Outfit zu viert durch die Schanzenstraße zu gehen, um von 15 Beamten in Kampfmontur umringt und auf Leib und Nieren geprüft zu werden. Oder man schaut diesem Treiben einfach nur zu - gegenüber, aber eben auch zu zehnt, eine Menschentraube bildend.

Was das Ganze bringt? Na klar: Jede Menge Personenkontrollen, Ingewahrsamnahmen und sichergestellte Gegenstände - Dinge, wie verbotene Böller. Auf dem Kiez. Fünf Tage nach Sylvester. Vorgänge, die - ebenso klar - keinerlei juristische Relevanz haben. In Hinblick auf den Auslöser, die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und linker Szene allerdings gießen die Vorgänge im "Gefahrengebiet", wie auch schon das Abschaum-Gepöbel eines Polizeigewerkschafters oder die jüngste Schusswaffen/Elektroschocker-Diskussion jede Menge Öl ins Feuer und stärken beim autonomen Gegenüber die Hardliner. Aber, das muss man eben wissen: Intelligenz war die Stärker der Hamburger Polizeiführung noch nie, schließlich gehörte das Korps einst zu den wichtigsten Stützen des obskuren Rechtspopulisten Ronald Barnabas Schill. Da fleddert man halt lieber das Grundgesetz, statt den Vorgängen um Flora und Davidwache mit völlig ausreichender, solider Polizeiarbeit zubegegnen.

Apropos Davidwache: Auch was den zweiten, "brutalen" Angriff auf die Wache angeht, tun sich derzeit viele Fragen auf. So wurde zuletzt eine Erklärung des Szene-Anwalts Andreas Beuth bekannt, der auf Augenzeugen-Berichte gestützt behauptet, diesen vielzitierten, zweiten Angriff habe es so überhaupt nicht gegeben. Das nun eingerichtete "Gefahrengebiet" sieht Beuth daher als Ausdruck "politischer Interessen der Polizeiführung und ihrer Gewerkschaften (...), eine bessere Bezahlung der Polizei, eine „Aufrüstung“ der Polizei und aktuell die Einrichtung eines unbefristeten Gefahrengebiets in einem nie dagewesenen Ausmaß" zu rechtfertigen. Klingt irgendwie nicht gut und mahnt zur Vorsicht.

Weitere Beiträge zur Debatte um die Demonstration vor der Roten Flora am 21. Dezember und die Reaktionen:

Bei Twitter wird unter dem Hashtag #gefahrengebiet über das Thema diskutiert.

Veröffentlicht in Polizei & Justiz mit den Schlagworten Gefahrengebiet, Hamburg, Polizei, Repression, Rote Flora

3 Kommentare zu diesem Artikel

11.01.2014, 15:53 Uhr Infoarchiv NorderstedtUnd noch ein paar Ergänzungen ...

Alles wie gehabt: Während "Bild" und "Hamburger Abendblatt" weiter als Presseorgan von Polizei und Innensenator fungieren, sorgen "Gefahrengebiet" und "Gefahreninseln" im Rest der (Medien-)Welt für eine Mischung aus Spott und Sorge:

Im "Gefahrengebiet" selbst sorgt der polizeiliche Aufstand nach wie vor für das Gegenteil von "Ruhe und Ordnung" und jede Menge Kreativität.

07.01.2014, 19:53 Uhr Infoarchiv NorderstedtErgänzungen ...

Hi Ronnie! Tut uns leid. Allerdings: Schämen brauchst Du Dich dafür nicht, Du hast das ja nicht geschrieben. Es wäre allerdings hilfreich zu wissen, was genau Du als "Sauerei" empfindest, gerne auch per Mail an info@infoarchiv-norderstedt.org.

Derweil kippt die Stimmung in Sachen "Gefahrengebiet" und Davidwache langsam - wenn auch nicht bei den Springer-Blättern, die wie zu besten Schill-Zeiten weiter auf Hofberichterstattung machen. Hier einige Ergänzungen zu den bereits verlinkten Texten:

06.01.2014, 14:15 Uhr RonaldSauerei

Es ist einfach eine Sauerei wie hier argumentiert wird.

Ich schäme mich für Eure Berichterstattung.

Ronnie