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Dienstag, 15. April 2014, 10:59 Uhr

Der Bischof und die Juden

Warum der Landesverein für Innere Mission seinen Halfmann-Saal verteidigt

In Rickling auch heute noch präsent: Antisemit Wilhelm Halfmann (Foto: Infoarchiv)

In Rickling auch heute noch präsent: Antisemit Wilhelm Halfmann (Foto: Infoarchiv)

Olaf Harning | Er war überzeugter Antisemit, förderndes Mitglied der SS und engagierte sich für deutsche Kriegsverbrecher. Dennoch wurde Wilhelm Halfmann 1946 zum Bischof von Holstein ernannt und führte dieses Amt bis zu seinem Tod im Januar 1964 aus, ohne je Reue gezeigt zu haben. Für den Landesverein für Innere Mission noch lange kein Grund, seinen „Bischof-Halfmann-Saal“ umzubenennen.


Der "Bischof-Halfmann-Saal" zu Rickling. Namensgeber ist der ehemalige Bischof von Holstein (1946-1964). (Foto: Infoarchiv)

Für 260 Euro plus Kosten für Technik und Endreinigung ist er zu haben, der 343 m2 große Veranstaltungsraum im holsteinischen Rickling. Hier hat der Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein seinen Sitz, hier steht auch seine Tagungs- und Begegnungsstätte Fichtenhof – inklusive Bischof-Halfmann-Saal. Genutzt wird der Raum für Veranstaltungen der diakonischen Einrichtung selbst, aber auch von Anwohnern und der Gemeinde Rickling, die hier erst im Februar ihren Jahresempfang abhielt.

Es war 1936, als Wilhelm Halfmann im Auftrag der Bekennenden Kirche eine zehnseitige Schrift zur „Judenfrage“ veröffentlichte, Titel: „Die Kirche und der Jude“. Von den Nazis wegen ihrer Beschränkung auf einen theologisch begründeten Antijudaismus verboten, lieferte der Text dennoch genug Munition, um den NS-Staat in seinem Tun zu bestätigen: „Tatsache ist“, so Halfmann damals, „daß die Juden das Christentum schädigten, wo sie nur konnten, und Tatsache ist, daß sie durch ihren Wucher das Volk bis auf´s Blut aussogen“. Daher habe die Kirche nicht die Aufgabe, „in die Judengesetzgebung des Dritten Reiches einzugreifen“. Vielmehr müsse man aufgrund der „bald zweittausendjährigen Erfahrung mit den Juden“ sagen: „Der Staat hat recht. Er macht einen Versuch zum Schutze des deutschen Volkes, wie er von hundert Vorgängern in der ganzen Christenheit gemacht worden ist.

Portrait Wilhelm Halfmanns und verschnörkelter Schriftzug

Foto: Infoarchiv

Ernsthaft distanziert hat sich Halfmann von dieserlei Inhalten nie, ganz im Gegenteil: Als sich die Evangelische Kirche im Oktober 1945 erstmals zu einer Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten bekannte, kommentierte Halfmann bitter: „Wenn man aber jetzt unter Deutschen von Schuld redet, dann soll man bedenken, dass unser Volk sich im Zustand des Ermordetwerdens befindet. Was sich ereignet, ist beispiellos.“ Die „feindliche Schuldpropaganda“ jedoch wirke nicht, da der Deutsche einfach frage: „Und die polnischen Greuel? Und der Bolschewismus? Und hier, unsere Bombenruinen?“ Auch nach seiner Ernennung zum Bischof des Sprengels Holstein verteidigte Halfmann den Kern seines Textes von 1936 und behauptete, er habe die Nürnberger Rassegesetze damals eher als „Schutzgesetze“ für die Juden betrachtet. Eine Annäherung an das Judentum kam für ihn zu keiner Zeit in Frage: „Ich kann die christlich-jüdische Verbrüderung auf humanitärer Basis, unter Eliminierung der Theologie, nicht mitmachen“, schrieb er noch 1960 an den Hamburger Landesbischof Karl Witte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Halfmann mit Bittbriefen und Gnadengesuchen bereits zur Freiheit Dutzender Kriegsverbrecher beigetragen, unter ihnen der SS-Arzt Karl Genzken, der wegen Menschenversuchen in mehreren KZ´s zu lebenslanger Haft verurteilt war.

Während solcherlei Erkenntnisse 2009 in Itzehoe dazu führten, dass der dortige Propst Thomas Bergemann das „Wilhelm-Halfmann-Haus“, ein Verwaltungsgebäude seines Kirchenkreises, kurzerhand umbenannte, tut man sich in Rickling spürbar schwer mit einem solchen Schritt. „Wir sprechen ja nicht über eine leere Fläche, die wir neu benennen müssen“, versucht Pastor Rüdiger Gilde, Direktor des Landesvereins, eine Erklärung. Obwohl er „heute nicht auf den Gedanken kommen würde, einen Saal nach Wilhelm Halfmann zu benennen“, will er den bestehenden Namen nicht überhastet wechseln. Daher beschloss er mit seinen Vorstandskollegen auch vorerst, eine Tafel mit erläuternden Kommentierungen anzubringen. Es gehe ihm dabei nicht um eine „Reinwaschung“ sondern darum, „jemanden in seiner ganzen Widersprüchlichkeit darzustellen“, so Gilde gegenüber der Tageszeitung "Neues Deutschland".

Unterstützung erhält er dabei von Stephan Linck, der den Umgang der evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum im Auftrag der Nordkirche aufgebarbeitet hat. „Wenn Umbenennungen vorgenommen werden“, sagt der Historiker, „überdecken sie die Dinge.“ Bleiben die Namen bestehen, müsse sich die Nachwelt hingegen wiederkehrend mit der Person auseinandersetzen. Hartmut Kühl ist das zu wenig: Der Diakon im Ruhestand begrüßt es zwar, dass sich der Landesverein den Erkenntnissen über Halfmann stellt, das Argument des Überdeckens aber überzeugt ihn nicht, denn: „Dann könnte man ja auch einen Adolf-Hitler-Platz stehen lassen“. Halfmann habe „die Ghettoisierung, den Ausschluss der Juden aus Gesellschaft und Beruf befürwortet“, so Kühl, und Zeit seines Lebens nie nachgefühlt, was die betroffenen Familien durchgemacht haben. „Wie mutig will man sein“, fragt der Ricklinger, “um eine Tafel unter seinem Namen so zu beschriften, dass sie diesem Elend gerecht wird?

Für Linck ist Wilhelm Halfmann ein „typischer Repräsentant seiner Landeskirche“, die in den dreißiger Jahren von einer breiten nationalprotestantischen Mehrheit und damit auch einer grundsätzlichen Zustimmung zum Nationalsozialismus geprägt gewesen sei. Überrascht hat ihn nur, wie wenig Halfmann sich nach Kriegsende mit seiner Haltung auseinandersetzte. Noch in den 60er Jahren habe der Bischof vom „jüdischen Einfluss auf die Arbeiterbewegung“ schwadroniert, damit offenbar das Klischee eines jüdisch gesteuerten Marxismus bedient. „Am beunruhigendsten, weil am unverständlichsten“, so Linck, „ist für mich aber der Fall Beyer“. Jener Hans Joachim Beyer, vom Historiker Karl-Heinz Roth einst „Heydrichs Professor“ getauft, war wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS (SD) und wurde 1947 mit der Leitung der Landeskirchlichen Pressestelle betraut. In dieser Position baute er eine Art kirchlichen Nachrichtendienst auf und sammelte belastende Informationen über Journalisten, um so kirchliche Texte in den Zeitungen platzieren zu können. Von Beyers Nachfolger Wolfgang Baader ließ Halfmann sich sogar regelmäßig Informationen über missliebige Pastoren beschaffen, etwa weil sie der Deutschen Friedens-Union (DFU) nahestanden. „Spätestens hier musste Halfmann wissen, was er tut“, sagt der Historiker – „und mit wem“.

Weitere Informationen sind unter anderem hier zu finden.

Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung zunächst in der Tageszeitung "Neues Deutschland".