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Donnerstag, 28. Juli 2011, 20:04 Uhr

Böses Spiel mit Viktor B.

Wie man unbequeme Arbeitnehmer los wird - und jede Menge Geld

Das Firmengelände der Waldemar Link GmbH in der Norderstedter Oststraße

Das Firmengelände der Waldemar Link GmbH in der Norderstedter Oststraße (Foto: Infoarchiv)

Von Olaf Harning | Wollte die Hamburger Waldemar Link GmbH & Co KG einen unbequemen Arbeitnehmer loswerden oder schützte sie sich lediglich vor einer Reihe Diebstähle? Vieles spricht dafür, dass die Berliner Detektei Makowski & Partner dafür engagiert wurde, den 57jährigen Norderstedter Feinmechaniker Viktor Bubritzki gezielt abzuservieren - koste es, was es wolle. Doch Zweifel bleiben.


"Lie to me? Keine Chance!" Marc Makowski in einer Anzeige seiner Detektei

Bis zu 60.000 Euro Honorar erhielt die Detektei, bzw. ihr Chef Marc Makowski für seine Tätigkeit beim überregional bekannten Hersteller medizinisch-technischer Produkte, das bestätigte der 33jährige bereits anlässlich seiner Befragung vor dem Hamburger Arbeitsgericht am 24. November 2010. Demnach rechnete er seinen "Einsatz in Norderstedt" mit einer Tagespauschale zwischen 1.000 und 1.200 Euro ab, so etwa 50 Arbeitstage seien am Ende angefallen. Diese Summen will die Unternehmensleitung von Waldemar Link dafür ausgegeben haben, das Makowski verdeckt gegen eine unscharf beschriebene Gruppe von ArbeitnehmerInnen in ihrem Norderstedter Werk ermittelte - wegen vergleichsweise geringfügiger Diebstähle und Schwarzarbeit. Wahrscheinlicher ist da schon ein anderer Hintergrund: Während das Unternehmen auf seinen Internet-Seiten bis heute mit einer "freundlichen Betriebsatmosphäre" wirbt, drängte man die Beschäftigten bereits 2006, wöchentlich fünf Stunden umsonst zu arbeiten. 40 statt 35 Stunden wird seitdem auch in der Norderstedter Produktionsstätte in der Oststraße gearbeitet, bezahlt werden aber nur 35. Ein Arbeitnehmer nahm das zum Anlass, während einer Betriebsversammlung am 30. April 2009 das Wort zu ergreifen und Firma wie Betriebsrat - unter anderem für die faktische Lohnsenkung - scharf zu kritisieren: Viktor Bubritzki. Zufall oder nicht, jedenfalls wurde die Detektei Makowski wenig später engagiert, so die offizielle Version, gegen "Unbekannt" zu ermitteln. 

Was dann kam, hatte es in sich: Schon im Mai wurde Marc Makowski als "mittelloser Praktikant" mit dem Tarnnamen "Kühnel" in die Norderstedter Produktionsstätte eingeschleust. Zumindest diese Rolle spielte er so überzeugend, dass seine neuen "Kollegen" am Ende darüber diskutierten, einen Hut für ihn herumgehen zu lassen, damit er "seiner Tochter in Berlin" Geld zukommen lassen konnte. Vertrauen erschlich er sich außerdem, indem er über die Unternehmensleitung herzog, von der er sich angeblich als Praktikant "ausgenutzt" fühlte. Tatsächlich aber begann Makowski, dessen Detektei nach eigenen Angaben etwa in der Hälfte ihrer Fälle gegen ArbeitnehmerInnen ermittelt, sofort mit seinen Beobachtungen und will sich binnen kurzer Zeit auf die Gruppe um Viktor Bubritzki festgelegt haben. Mit ihnen, so der Detektiv auch später vor Gericht, habe er Schwarzarbeiten ausgeführt und in ihren Häusern, Kellern und Werkstätten zahlreiche Firmen-Utensilien entdeckt: So berichtete er von Klebebändern, Handschuhen oder auch Druckluftschläuchen, die er dort vorgefunden hätte. Interessant daran: Sowohl Bubritzki, als auch ein ebenfalls ins Visier des Ermittlers geraten Arbeitskollege bestreiten, dass Makowski jemals bei ihnen gewesen ist. Dafür aber die vermeintliche Kundin Nina F. (vollständiger Name der Redaktion bekannt), die in der nebenberuflich betriebenen Werkstatt des Arbeitskollegen eine Treppe in Auftrag geben- und eine ähnliche Installation im Haus Bubritzkis besichtigen wollte. Auch jene Nina F. erwies sich später als Mitarbeiterin der Detektei Makowski & Partner, von ihr stammen offenbar auch Fotos, die Makowski später als angeblich von ihm angefertigte Bilder in das Verfahren einbrachte.

Überwachung und Grundrechte am Arbeitsplatz

 

"Viele Menschen werden täglich unbemerkt beobachtet. Das ist auch richtig so, denn sie führen nichts Gutes im Schilde." So beginnt der Text einer von der Detektei Makowski & Partner geschalteten Anzeige (siehe oben), in der einige Zeilen später noch die "Erfahrung" ergänzt wird, "dass die Verdachtsmomente der Auftraggeber meistens berechtigt sind".

 

Dem widerspricht der Hamburger Arbeitsrechtler Klaus Müller-Knapp: Nach seiner Erfahrung beauftragen Arbeitgeber gezielt dann Detektive, "wenn sie den betreffenden Mitarbeiter aus Gründen, die an sich keine Kündigung rechtfertigen könnten, loswerden wollen". Zwar fehlen zur Zeit noch gesetzliche Regelungen, die Überwachungsmaßnahmen dieser Art konkret einschränken, Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz aber schützt laut Müller-Knapp "jeden vor Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung" und ermögliche etwa verdeckte Überwachungen nur unter bestimmten Umständen. So seien Ermittlungen "ins Blaue hinein" kaum zu rechtfertigen, vielmehr müsse ein "konkreter, anhand belegbarer Tatsachen nachvollziehbarer Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers" vorliegen.

 

Der Einsatz des Ermittlers bei der Waldemar Link GmbH hätte damit zumindest am Rande der Legalität stattgefunden. "Im Hinblick auf die massiven Persönlichkeitsrechtsverletzungen des Arbeitnehmers durch den verdeckten Detektiveinsatz", so die Meinung von Klaus Müller-Knapp, "dürfte ein solcher nur bei dem Verdacht eines wirklich schweren Vermögensdeliktes oder bei Gefahr für Leib und Leben anderer Mitarbeiter oder des Arbeitgebers gerechtfertigt sein."

 

Im Zuge der Reformierung des Arbeitnehmerdatenschutzes ist offenbar geplant, im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) einen neuen § 32 e einzufügen, der die bislang nur in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für Verletzungen der Persönlichkeitsrechte (konkreter Verdacht, einzig verbleibendes Mittel zur Aufklärung, Verhältnismäßigkeit) ausdrücklich festschreibt.

So oder so: Am 16. Juni 2009 will der verdeckte Ermittler schließlich beobachtet haben, wie Bubritzki eine 450 Euro teure Spezialzange für Operationssäle in ein Tuch wickelte und in seinem Auto verstaute. Er informierte die Werkleitung, die wiederum die Polizei und das übliche Schicksal eines Diebes nahm seinen Lauf. So sah es zumindest aus, denn bereits jetzt kam es zu zahlreichen Ungereimtheiten: So fanden die herbeigerufenen Beamten die Zange nicht so im Fahrzeug Bubritzkis auf, wie von Makowski angegeben. Ganz im Gegenteil war die genaue Lage des Diebesguts, die der Detektiv nach vollzogener Tat von außen im Auto entdeckt haben will, eigentlich gar nicht von außen sichtbar und damit nur vom Täter selbst zu beschreiben. Überdies fehlten auf ihr nicht nur Fingerabdrücke, sondern gleich auch noch jegliche DNA-Spuren. Im Rahmen einer noch am selben Tag eingeleiteten Hausdurchsuchung bei Bubritzki fand die Polizei weder Firmenutensilien vor, noch eine Werkstatt, die Makowski zuvor in dem Haus entdeckt haben wollte. Dazu kommt, dass die entwendete Spezialzange außerhalb von Operationssälen kaum benutzbar ist, ein Schwarzmarkt für deratige "Exoten" existiert nicht. Welchen Sinn also sollte ihr Diebstahl machen?

Entsprechend einsilbig reagiert der Ermittler, spricht man ihn auf diese Widersprüche an: Während Makowski gegenüber dem Infoarchiv die Version der Firma stützt, man habe gegen eine zunächst unbestimmte Gruppe und erst später konkret gegen Bubritzki selbst ermittelt, mag er die Frage nicht recht beantworten, ob er tatsächlich jemals im Haus des vermeintlichen Diebes gewesen ist. Den Vorwurf manipulierter Beweise lässt Makowski jedoch nicht gelten: Er habe, trägt er durchaus überzeugend vor, kaum eine Möglichkeit gehabt, die Zange im Fahrzeug Bubritzkis zu deponieren. Erstens hätte er es dazu aufbrechen müssen und das Ganze auch noch direkt vor dem Empfang der Firma.

Dennoch mochten sowohl Richter Reinhard Leendertz - im Diebstahlsprozess vor dem Norderstedter Amtsgericht - als auch Arbeitsrichterin Birgit Voßkühler im Kündigungsschutzprozess den Aussagen des Detektivs nicht folgen. Einerseits meldeten sich gleich mehrere Arbeitskollegen Bubritzkis als Zeugen, die ihn zum angegebenen Zeitpunkt am Ort des angeblichen Diebstahls nicht gesehen haben, außerdem erschien die Aussage Makowskis den Gerichten insgesamt unglaubwürdig. Die Folge: Nachdem im Herbst 2010 schon das Diebstahlsverfahren eingestellt worden war, erklärte das Hamburger Arbeitsgericht am 26. Januar auch die gegen Bubritzki gerichteten Kündigungen für unwirksam. Da das Arbeitsrecht aber weitere Möglichkeiten kennt, ein Arbeitsverhältnis zu beenden, verfolgten die Waldemar Link GmbH und ihr Rechtsbeistand Bahram Aghamiri weiterhin die Strategie, Viktor Bubritzki nicht mehr in den Betrieb zurückkehren zu lassen - mit zweifelhaftem Erfolg: Kurz vor dem finalen Prozesstermin am 1. Juni einigten sich beide Parteien außergerichtlich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindungssumme. Über deren Höhe wollen zwar beide Parteien nichts preisgeben, neben den seit Mitte 2009 entgangenen Bruttolöhnen Bubritzkis dürften aber gut und gerne weitere 100.000 Euro über den Ladentisch gegangen sein, um den Verlust des Arbeitsplatzes abzumildern - mindestens. Rechnet man nun die Kosten für Detektiv Makowski hinzu, hat das Unternehmen mal eben eine Viertelmillion Euro und mehr verbrannt, um wahlweise einen renitenten Mitarbeiter loszuwerden oder eine Reihe Bagatelldiebstähle zu ahnden - in beiden Fällen rational kaum nachvollziehbar.

Firmenlogo der Waldemar Link GmbH

Firmenlogo der Waldemar Link GmbH

Was bleibt, sind Zweifel und viele Fragen. So heißt es beispielsweise, dass Marc Makowski dem Unternehmen schon Wochen vor dem vermeintlichen Diebstahl Bubritzkis einen mehr oder weniger konkreten Termin für dessen Überführung angekündigt haben soll. Andererseits hätte es mit Sicherheit einfachere Möglichkeiten gegeben, den Mechaniker mit Hilfe fingierter Beweise aus dem Unternehmen zu kanten, weshalb also eine derart riskante Operation? Und: Warum überhaupt entschied sich die Waldemar Link GmbH für den Einsatz eines Detektives, der neben hohen Kosten auch Gift für das gepriesene Betriebsklima ist? Zumindest Letzteres kann auch ein Under-Cover-Praktikant nicht beantworten: Er habe, so Makowski im Gespräch mit dem Infoarchiv, "vor Jahren aufgehört, sich darüber Gedanken zu machen, wer warum wieviel Geld in die Hand nimmt, um mich zu engagieren". Derartige Einsätze seien aber "immer ein schmaler Grad", aus denen am Ende "häufig nur Verlierer rausgehen".

Den vielleicht treffendsten Kommentar zum Under-Cover-Einsatz und der monatelangen, juristischen Auseinandersetzung um die Kündigungen, hat wohl ein Kollege Bubritzkis geäußert. Über das aktuelle Betriebsklima im Norderstedter Werk sagte er gegenüber dem Infoarchiv: "Man guckt sich nervös um, traut keinem, den man nicht länger als zwei Jahre kennt". Ob das und eine Viertelmillion Euro die Sache wert waren, hätten wir gerne von Link-Justitiar Timo Prengel erfahren. Nach einer ersten kurzen Einlassung wollte aber weder er, noch ein anderer Mitarbeiter des Unternehmens mit dem Infoarchiv sprechen.